NThK-Weihnachtsbücherei 2021

Nachdem wir im vergangenen Jahr pausiert hatten, gibt es in diesem Jahr wieder eine Weihnachtsbücherei. Vielleicht findet der eine oder die andere unter den Titeln, die wir hier kurz vorstellen, ein passendes Geschenk für unter dem Baum oder aber eine Inspiration zum Lesen in der Adventszeit oder zwischen den Jahren.

Wir jedenfalls wünschen allen Leser*innen eine besinnliche Adventszeit, frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr.

Martin Böger empfiehlt:

Uta Pohl-Patalong, Kirche gestalten. Wie die Zukunft gelingen kann, Gütersloh 2021.

Die große Stärke dieses Buches ist: Pohl-Patalong stellt die aktuellen Fragen kirchlicher Praxis in befreiender Offenheit und anregender Klarheit. Dabei verfällt sie nicht in einen larmoyanten oder pessimistischen Unterton, sondern eröffnet mit dem Dreischritt (1) analytische Beschreibung, (2) systematisierendes Hintergrundwissen und (3) alternative Szenarien einen Raum zum selbsttätigen Weiterdenken, der nicht von Überforderungen oder scheinbaren Richtigkeiten eingeengt wird.

Ihr Anspruch ist es nicht einen Königsweg zu erläutern und mit dem Nimbus des wissenschaftlichen Adlerblickes auszustatten, sondern Methoden, Logiken und Systematisierungsvorschläge zum eigenständigen Denken und Handeln anzubieten.

Die Situationsanalysen und die anschließenden historischen und theologischen Einordnungen machen eigentlich ein ums andere Mal deutlich, dass die Strukturen und Denkmuster der gegenwärtigen kirchlichen Handlungsfelder und Bezugsgrößen eigentlich kaum noch in ihre aktuelle Lage und Situation passen. Wir stehen vor der Aufgabe, wie die gewachsenen kirchlichen Handlungsfelder, Aufgaben und Selbstverständnisse für eine gelingende Zukunft transformiert werden können. Das ist keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“.

Dabei programmatisch die Kommunikation des Evangeliums in den Mittelpunkt aller kirchlichen Strukturfragen und Handlungsfelder zu stellen, hat den großen Charme, damit eine theologische Grundkategorie an der Hand zu haben, die alle anderen Logiken von Gemeinde und Kirche (juristische, gesellschaftliche, organisatorische, institutionelle,…) justiert und auf diese hin ausrichtet.

Günter Thomas, Im Weltabenteuer Gottes leben. Impulse zur Verantwortung für die Kirche, Leipzig 2020.

„Dieses Buch möchte ermutigen, indem es theologisch provoziert“ – das ist der Anspruch, den Günter Thomas mit seiner Studie hegt.

Günter Thomas widmet sich in verschiedenen Impulsen den gegenwärtigen „Krisen“ kirchlicher Wirklichkeit. Dabei ist für Thomas die derzeitige Krise nicht zuerst eine institutionelle, die durch verschiedene Strukturdebatten gelöst werden könnte, sondern eine theologische.

Theologische Grundierung finden die Thesen Thomas‘ dabei in der Einsicht, dass der Glaube die Entdeckung mit sich bringt, „in eine Geschichte einbezogen [zu sein], die in aller relativen und riskanten Offenheit nicht nur vom Menschen, nicht nur von der kosmischen Evolution, sondern von Gott vorangetrieben wird“. Christlicher Glaube rechnet mit Gottes Lebendigkeit. Daher sollte in der Kirche wieder mehr von Gott gesprochen werden. Und zwar nicht in abstrakten Worthülsen, sondern in einer theologisch-existentiellen Art, die an das glaubt und damit rechnet, dass Gottes Lebendigkeit, sein Sein und Wirken unsere Wirklichkeit umgreift.

Von diesem Standpunkt aus, so Thomas, lasse sich wieder befreiter, konzentrierter und klarer die Aufgabe der Kirche erkennen und recht verorten: nämlich im Weltabenteuer Gottes mitzuwirken, weg von einer „grenzenlosen Weltverantwortung“ hin zur Fokussierung und einer weltzugewandten Ausgestaltung des paulinischen Dreiklangs von Glaube, Liebe, Hoffnung in unseren kirchlichen Handlungsfeldern.

Wer Lust hat auf etwas Provokation und steile Thesen – und ja, auf einen leichten barth’schen Duktus eines theologischen Neuanfangs 😉 –, dem sei dieses Buch des Bochumer Systematikers sehr empfohlen.

Tobias Graßmann empfiehlt:

Michail Bulgakow: Das hündische Herz. Eine fürchterliche Geschichte, 4. Aufl., München 2019. 9,90€

Dieser satirische Roman aus der frühen Sowjetunion legt rasant los und liest sich fast wie ein Theaterstück. Weil er die Libido seiner prominenten Patientenschaft durch die Implantation tierischer Organe zu befördern vermag, konnte ein berühmter Arzt seinen großbürgerlichen Lebensstil auch über die Revolution hinweg retten. Doch dieser gerät in Gefahr, als er wissenschaftlich auf Größeres zielt und sich an ein grausiges Experiment macht: Er implantiert einem Straßenköter die Hypophyse eines kürzlich verstorbenen Tunichtguts. Die aus dieser biotechnologisch-medizinischen Auferstehung entstandene Kreatur sorgt nach kurzer Zeit der Begeisterung für reichlich Verwirrung und Konflikte. Ist daran ihr hündisches Herz schuld? Oder vielmehr ein allzu menschlicher Hang zu Schweinereien, gegen die auch tierische Treue nicht ankommt? Und was sagt all das über eine Gesellschaft aus, wenn sich durchtriebene Hundemenschen allzu schnell und viel zu gut in sie einfügen?

Bernd U. Schipper/Georg Plasger(Hgg.): Apokalyptik und kein Ende? (Biblisch-theologische Schwerpunkte Bd. 29), Göttingen 2007. 7,00€

Sammelbände sind eine kritische Gattung. Allzu oft merkt man ihnen an, dass ziemlich durchwachsenes und nur lose auf eine Thema bezogenes Material allein durch den Willen zur Publikation zusammengeschnürt wurde. Das ist hier anders und das macht diesen Band empfehlenswert. Wer sich aus exegetischen, historischen und gegenwartsorientierten Perspektiven dem Phänomenbereich des Apokalyptischen annähern will, findet in diesem Buch einige informative, anregende und auch gut lesbare Beiträge zusammengestellt: Wie kommt es dazu, dass Menschen die Zeichen der Zeit zu entschlüsseln suchen? Und was passiert, wenn sie dabei auf das drohende Ende dieser Weltzeit und des gesamten Kosmos stoßen? So entsteht ein überzeugendes und differenziertes Gesamtbild. Gerade in apokalyptisch bewegten Zeiten wie den unseren regt dieser Band dazu an, die Potentiale und Ambivalenzen apokalyptischer Weltwahrnehmung auszuloten – die dynamisierenden und stabilisierenden, die fortschrittlichen und reaktionären Aspekte einer Tradition, die in den Krisenepochen des Alten Orients wurzelt und seitdem Menschen in ihren Bann zieht. Man darf vermuten: Auch weiterhin ohne Ende… 

Tobias Jammerthal empfiehlt:

Christoph Strohm: Kulturwirkungen des Christentums? Beobachtungen zu Thomas Karlaufs „Stauffenberg“ und Jan Assmanns „Totaler Religion“, Tübingen 2021.

In der kleinen weißen Reihe des Mohr-Siebeck-Verlages finden sich immer wieder gut lesbare, aber inhaltlich anspruchsvolle Texte. Dieser hier gehört dazu: Der Heidelberger Kirchenhistoriker Christoph Strohm zeigt mustergültig auf, was eine Kirchengeschichte leisten kann, die sich nicht aus den intellektuellen Diskussionen ihrer Zeit zurückzieht. Er tut dies anhand zweier sehr unterschiedlicher Beispiele: Jan Assmanns These vom latent gewalttätigen Monotheismus und Thomas Karlaufs Stauffenberg-Biographie. Eine wahre Freude – nicht zuletzt wegen des flüssigen Schreibstils.

Alfred Kohler: Ferdinand I. (1503–1564). Fürst, König und Kaiser, München 2017.

Dass der C.H. Beck-Verlag eine gute Adresse ist, wenn man nach fachlich aktuellen Biographien sucht, die sich auch ohne Bleistift und Exzerptblock genießen lassen, ist kein Geheimnis. Insofern ist dieser Titel auch nur ein Beispiel unter vielen – aber ein lohnendes. Auf Basis einer stupenden Quellenkenntnis zeichnet Alfred Kohler ein facettenreiches Porträt desjenigen Habsburgers, der durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 einen Platz in der Reformationsgeschichte beanspruchen darf, und an dem es doch so viel mehr zu entdecken gibt. Ein angenehmer Begleiter für die gemütlichen Stunden „zwischen den Jahren“ – oder wann immer man Lust nach einer guten historischen Biographie verspürt.

Julian Scharpf empfiehlt:

Jörg Lauster: Der Heilige Geist. Eine Biographie, München 2021. 29,95 Euro

Mit Begeisterung denke ich an Jörg Lausters Meisterwerk „Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums“ zurück, die der Autor 2014 veröffentlichte. Lausters Fähigkeit, geschichtliche Zusammenhänge zu überblicken und so spannend wie auch verständlich zu verschriftlichen, ist beeindruckend. Es muss ein Stachel im Fleisch der Kirchengeschichtler sein, dass ausgerechnet einem Systematischen Theologen so ein großer Wurf gelungen ist.

Im Jahr 2021 hat Lauster „Der Heilige Geist. Eine Biographie“ vorgelegt. Als durchschnittlicher Christ in Westeuropa ist man ja ein wenig irritiert von der weltweiten pfingstlerischen Bewegung in all ihren Erscheinungsweisen und dementsprechend etwas vorsichtig gegenüber den menschlichen Annährungsversuchen an das Wirken der Geistkraft. Lausters weiter Horizont vermag es, Faszination für den Heiligen Geist auszulösen und neue Perspektiven auf ihn und Zugänge zu ihm zu bekommen. Es ist doch eine schöne Pointe, dass der Heilige Geist ausgerechnet von einem deutschen Kulturprotestanten so großartig gewürdigt wird.

Jonathan Franzen: Crossroads, Hamburg 2021. 28 Euro

Jonathan Franzen eröffnet mit Crossroads eine Trilogie mit dem Titel „Ein Schlüssel zu allen Mythologien“, welche über drei Generationen einer Familie des Mittleren Westens in den USA berichtet. In Crossroads geht es um die Pfarrersfamilie Hildebrandt. Russ Hildebrandt ist ein liberaler Pfarrer, der in seiner Gemeinde Konkurrenz durch einen neuen jüngeren Pfarrer bekommt, der eine Jugendgruppe namens Crossroads gründet. Aus dieser Gruppe wird Russ Hildebrandt ausgeschlossen, was seiner Midlife-Crisis Aufwind gibt.

Wenn Franzen die Dynamiken dieser Gruppe beschreibt, zeigt er seine große Könnerschaft und jeder, der schon einmal in einem ähnlichen System unterwegs war, nickt bei Zeilen wie diesen: „Es war ein Crashkurs über die Grundlagen der Crossroads-Ökonomie: Die öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen brachte einem überwältigende Zustimmung ein. Von lauter Gleichgesinnten – die meisten älter als man selbst, davon viele attraktiv – bestätigt und gehätschelt zu werden war außerordentlich angenehm. Perry wollte mehr von dieser Droge.“

…und Franzens Buch kann einen auch süchtig machen.

Niklas Schleicher empfiehlt:

Ulrich Barth: Symbole des Christentums. Berliner Dogmatikvorlesung (hg. von Friedemann Steck), Tübingen 2021.

Seit Jahren gibt es die Gerüchte darum, dass der emeritierte Hallenser Professor für Systematische Theologie, Ulrich Barth, eine Dogmatik (oder Systematische Theologie oder Glaubenslehre) schreiben würde. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr so richtig daran geglaubt. Im Herbst 2021 allerdings erschien von Ulrich Barth „Symbole des Christentums“, herausgegeben von Friedemann Steck. Erwachsen ist das Buch aus der Dogmatikvorlesung, die Ulrich Barth nach seiner Emeritierung in Berlin gehalten hat. Das führt zu dem ersten großen Vorteil: Es ist wirklich gut und flüssig lesbar; man merkt ihm an, dass es mal „gesprochenes Wort“ war. Inhaltlich ist es der Versuch aus liberaler Tradition heraus die klassischen Lehrstücke (die hier Symbole) heißen darzustellen und für die gegenwärtige Theologie zu interpretieren. Die Gewährsmänner sind dabei vor allem Schleiermacher, Ritschl und Hirsch. Möglicherweise liegt mit diesem Buch der letzte dogmatische Entwurf vor, der sich dezidiert in der liberalen Theologie verortet. Ob der Entwurf durchgehend zu überzeugen vermag, muss jeder für sich entscheiden. Aber wenn man unter den Bedinungen des 21. Jahrhunderts Dogmatik betreiben will, dann sollte man, wenn man es ernst meint, Ulrich Barths Entwurf zur Kenntnis nehmen.

[Asmodee Games]: Trial by Trolley

Manchmal lernt man beim Spielen mehr als durch ein Buch. „Trial by Trolley“ ist ein Spiel, dass das Trolley-Dilemma, das auf Philippa Foot zurückgeht, ernst nimmt. Einer übernimmt den Zugführer und zwei Gruppen versuchen diesen davon zu überzeugen, nicht die Personen (oder Tiere) auf ihrem Gleis zu opfern. Das klingt makaber, ist es auch, führt aber, wenn man es ein bisschen ernst nimmt, zu interessanten Debatten: Wen eher retten, den Forscher, der ein Mittel gegen Krebs entwickelt oder Mitglieder der Familie des Mitspielers? Oder: Den Forscher retten, obwohl man damit auch einen Serienkiller verschont? Es ist vielleicht nicht das Spiel für Heilig-Abend, aber spätestens zu Silvester kann man damit durchaus etwas Zeit verbringen. Die Empfehlung ist allein: Am Besten mit Menschen spielen, die man schon länger kennt und mag. Es zeigt nämlich durchaus vieles von der Persönlichkeit…

Dörte Maria Packeiser, u.a. (Hgg.): Lied trifft Text. Eine Arbeitshilfe zur Gottesdienstgestaltung mit dem Evangelischen Gesangbuch, Stuttgart 82020.

Das Buch gibt es schon länger, mittlerweile liegt es in einer Version vor, die die geänderte Perikopenänderung aufnimmt. Zu jedem Predigttext liefert das Buch Hinweise für Lieder, die zum Text passen, diesen aufnehmen oder der Aussage des Textes weitere Komponenten erschließen. Dabei hat das Buch auch die neuen Lieder aus den Ergänzungsbüchern zum Evangelischen Gesangbuch vor Augen. Schließlich gibt es zu jedem Sonntag auch immer noch weiterführende Hinweise zur liturgischen Gestaltung. Auch wenn das Buch natürlich in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg entstanden ist, können auch Hauptamtliche und Ehrenamtliche der anderen Landeskirchen gewinnbringend damit arbeiten; viele Lieder aus den Ergänzungsbüchern sind ja auch gleich. Ein Buch, dass einem hilft, nicht immer die gleich Klassiker singen zu lassen und damit auch die Vielstimmigkeit evangelischen Liedguts zu Gehör bringt.

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