Rezension zu: Reinhard Feldmeier, „Gottes Geist“

Feldmeier, Reinhard: Gottes Geist. Die biblische Rede vom Geist im Kontext der antiken Welt (Tria Corda 13), Tübingen 2020.

Es gibt Bücher, die lesen sich in einem Zuge durch – das hier zu besprechende gehört dazu. Der Göttinger Neutestamentler Reinhard Feldmeier nimmt den Leser mit auf Streifzüge durch das Alte Testament, durch die antike pagane Philosophie, durch das antike Diasporajudentum und durch das Neue Testament – jedes Kapitel dieses insgesamt etwa 200seitigen Textes gleichermaßen material- wie kenntnisreich und dennoch auch ohne Bleistift und Exzerptheft in der Hand gut lesbar und verständlich. Ausgangspunkt von Feldmeiers Beobachtungen ist das Wachstum charismatisch-neupfingstlerischer Bewegungen im sogenannten globalen Süden, wobei er auf direkte persönliche Begegnungen verweisen kann (1–3; vgl. 6f). Das Büchlein ist also gewissermaßen der Versuch, Erlebtes theologisch einzuordnen und dabei grundsätzlich biblisch-theologisch zu arbeiten. In wünschenswerter Offenheit legt Feldmeier offen, dass er Tendenzen zur Verdinglichung des Geistbesitzes und zur Ausprägung von Machtstrukturen in neupfingstlerischen Gruppen für irritierend und problematisch hält, dass er aber zugleich eingestehen muss, „dass Menschen in diesen Gemeinden eine Lebendigkeit erleben, die sie bei den etablierten Kirchen vermissen“ (5), wobei gerade im globalen Süden durchaus Momente der Verselbständigung gegen eine noch immer mächtige koloniale Vergangenheit Teil der Erfolgsgeschichte dieser Gruppen sind.

Um diese Mischung aus Irritation und Anerkennung theologisch weiterführend zu bearbeiten, widmet sich Feldmeier zunächst (in, wie er zugibt, vgl. S. 33, Anm. 1, engem Anschluss an die entsprechenden Passagen der gemeinsam mit Hermann Spieckermann vorgelegten biblischen Gotteslehre „Der Gott der Lebendigen“, Tübingen 32020) den alttestamentlichen Vorstellungen (33–64) und ihrem Fortleben im palästinischen Judentum. Schon hier beobachtet Feldmeier, dass numinose Vorstellungen von einem latent unheimlichen raptus durch höhere Mächte zunehmend theologisch rückgebunden werden – mit der wichtigen Folge, dass der Geist „keine dem Kosmos und dem Menschen inhärente Gegebenheit“ (63), sondern die personifizierte Wirksamkeit des Gottes Israels in der Welt ist, die sich eigenmächtig einstellt, über die der Mensch zu keinem Zeitpunkt verfügt, sondern die vielmehr über ihn verfügt und ihn in seinem Verhältnis zu Gott und zu seiner geschöpflichen Umwelt neu bestimmt. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu den hellenistisch-paganen Vorstellungen, auf die Feldmeier nun zu sprechen kommt (65–102). Er konzentriert sich dabei auf Stoa und Mittelplatonismus und konstatiert bei aller Anschlussfähigkeit der damit in den Blick genommenen Konzepte einen wichtigen Unterschied eben in der vom biblischen Zeugnis her zentralen Personalität des Geistes. Dieser Unterschied nötigte jüdische und christliche Protagonisten, „bei der Rezeption philosophischer Geistkonzepte zugleich die Eigenart des biblischen Geistbegriffs zur Geltung zu bringen.“ (102). Spielarten dieses pneumatologischen Weiterdenkens im Kontext des Gesprächs mit Stoa und Mittelplatonismus beschreibt Feldmeier im Kapitel über das Diasporajudentum (103–141). Im Vergleich mit dem zeitgenössischen palästinischen Judentum beobachtet er dabei eine wesentlich weniger eschatologisch geprägte Grundausrichtung: „Vielmehr verkörpert der Geist die Gegenwart des bleibend transzendenten Gottes in der Schöpfung überhaupt und im Menschen im Besonderen.“ (136). Auch ein sehr stark den Anschluss an die contemporäre Philosophie suchender Vertreter des hellenistischen Judentums wie Philo von Alexandrien konnte dabei auf die im Vergleich zu stoischen Vorstellungen stärker transzendenzoffenen Konzepte des Mittelplatonismus zurückgreifen (vgl. 137). Die folgenden neutestamentlichen Beobachtungen (143–194) gruppieren sich um das markinische, das paulinische, das lukanische und das johanneische Schrifttum. Dabei attestiert Feldmeier Markus eine besonders konsequente Aufnahme alttestamentlicher Vorstellungen im Zuge seiner pneumatisch konturierten Christologie (vgl. 147/8), während er bei Paulus vor allem „die Verwandlung der Christgläubigen von versklavten Geschöpfen zu Gottes Söhnen bzw. Kindern“ (148) als Beschreibung des Geistwirkens identifiziert. Wenn er die paulinische Ethik unter diesem Gesichtspunkt als eine Ethik der Liebe beschreibt (vgl. 160–164), deutet Feldmeier bereits mögliche Ansatzpunkte einer Skepsis gegen bestimmte Ausprägungen derjenigen Frömmigkeit an, die den Anstoß zu dieser Studie gegeben hatte. Im lukanischen Doppelwerk werden „die christologische, die soteriologische und die ekklesiologische Dimension … miteinander verwoben“ (167); Lukas ist in Feldmeiers Urteil „origineller Hermeneut und Denker, der die christologisch vermittelte Gegenwart Gottes im Geist zur Grundlage einer Geschichtstheologie macht“ (169) und dabei bereits deutliche trinitätstheologische Ansatzpunkte bietet (vgl. 180–182). Am stärksten personalisiert ist die Geistvorstellung bei Johannes, der besonderen Wert darauf legt, dass der Paraklet nicht in der gläubigen Existenz aufgeht, sondern ihr gleichermaßen ermächtigendes wie normierendes Gegenüber – und damit autonom – bleibt (vgl. 193). Der das Büchlein abschließende Epilog (167–201) bündelt die auf den Streifzügen gesammelten Erkenntnisse und lenkt sie selbstkritisch auf die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen zurück. Deutlich wird dabei: Der Rekurs auf biblisch-theologische Geistkonzepte führt zu einer Infragestellung mit doppelter Zielrichtung. Neocharismatische und neupfingstlerische Gruppierungen müssen sich sagen lassen, „dass der Heilige Geist in der Bibel nicht Garant für seelische und körperliche Gesundheit, berufliches Fortkommen und wirtschaftliches Wohlergehen ist, sondern dass er für Gott und den Nächsten in Dienst nimmt“ (199) – die traditionelleren Ausprägungen des Christlichen hingegen müssen sich die Aufforderung gefallen lassen, viel stärker als bisher üblich Ekklesiologie, Ethik und Eschatologie pneumatologisch zusammenzudenken und dabei dem Rechnung zu tragen, „dass es bei der biblischen Botschaft nicht um Bestätigung des Bestehenden geht, sondern um schöpferische Verwandlung der Wirklichkeit durch die von Gottes Geist immer wieder neu bewegten, ja ‚getriebenen‘ Menschen.“ (200).

Dieses Büchlein ist ein Beweis dafür, was passiert, wenn (gerade!) protestantische Theologie und Kirche sich durch das rasante Wachstum charismatischer Formen von Christentum nicht zum Aktionismus oder gar zu unreflektierter epigonaler Übernahme scheinbarer Erfolgsrezepte verleiten lassen – sondern wenn sie sich zum intensiven theologischen Nachdenken anregen lassen, um sich so in der Scheidung der Geister zu üben, die schon Paulus seinen Korinthern ins Stammbuch geschrieben hat (1 Kor 12). Schon allein deshalb sollte es von möglichst vielen Verantwortlichen in Landeskirchen und Gemeinden, aber auch in Fakultäten und sonstigen Aus- und Fortbildungsstätten sorgfältig zur Kenntnis genommen werden.

Rauschenberg, Pfingstmontag 2021

Tobias Jammerthal

Tobias Jammerthal, Dr. theol. (Tübingen), MA in Theology and Religion (Durham/UK), ist Pfarrer und wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kirchen- und Dogmengeschichte der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Bis 2018 war er der für „Klassiker und Rezensionen“ verantwortliche Redakteur dieser Seite.

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