Rezension zu: Bernd Janowski, „Anthropologie des Alten Testaments“

Janowski, Bernd: Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen – Kontexte – Themenfelder, Tübingen 2019

Der Titel dieses Buches wirft lange Schatten voraus. Bernd Janowski erweitert den Kanon der alttestamentlichen Werke zum Menschen, seinem Sein und Wesen um eine monumentales Monographie auf knapp 800 Seiten. Über Jahrzehnte war das Standartwerk zum Thema der gleichnamige Band von Hans Walter Wolff. Nicht von ungefähr kommt es daher, dass sich Janowski selbst – gleich zu Beginn – einer Methodenkritik unterzieht und Wolffs Ansatz kritisch würdigt. Ihm gelingt dabei, wie auch im gesamten Band, gleichzeitig Nachschlagewerk und spannende Lektüre zu sein. Janowskis Stil und Sprache laden sporadisch Suchende zum Weiterlesen ein und fesseln Lektürewillige an die Seiten. Sein Ansatz verspricht dabei einerseits, die Aspekte der alttestamentlichen Menschenbilder zu systematisieren und gleichzeitig ihren integrativen Charakter zu bewahren. Janowski kann dabei sehr umsichtig auf dogmatische Festlegungen zu verzichten und gleichzeitig Besonderheiten in der Lebensführung verschiedener Epochen und literarischer Kontexte sowie anthropologische Konstanten würdigen. (Vgl. S. 39-42)

Die Anthropologie des Alten Testaments gliedert Janowski in sieben Teile (Teil 1 ist die Einführung). Danach widmen sich vier große Abschnitte den fundamentalen Themen von Lebensphasen, Personenbegriff, sozialem Handeln sowie der menschlichen Welterfahrung. Er beschränkt sich jedoch nie allein darauf, sondern ergänzt seine Ausführungen stets durch Querverweise und Exkurse, die aufzeigen, wie vernetzt alle Bereiche sind. Das Nachschlagen in einem Kapitel wird Lesende nicht selten durch verschiedene Abschnitte führen.

Janowski nimmt zunächst die Beschreibung der „menschlichen Lebensphasen“ auf, die er biographisch und sozial erfasst. Er beschreibt dabei die fundamentalen menschlichen Positionsbestimmungen, der Schöpfung, der Geburt und des Todes. Hierbei verzahnt er nicht nur anatomische, psychologische und theologische Gesichtspunkte. So findet sich hier beispielsweise das bei Wolff viel beachtete Kapitel zu næfæš (vgl. 48ff.). Janowski allerdings bringt gleichzeitig soziale und lebensgestaltliche Aspekte zur Sprache. Ebenso ist beachtlich, dass dieses Kapitel durch eine sehr umsichtige Behandlung von „Gender- und Generationsaspekten“ geschlossen wird. In der Einleitung dazu spricht Janowski selbst von den familiären, biographischen, sozialen und personenbegrifflichen Implikationen dieser Thematik und verweist indirekt auf die vorhergehenden und folgenden Abschnitte seines Werkes.

Im Anschluss daran beleuchtet er den Personenbegriff mittels der Sphären des Leibes und der Sozialsphäre des Menschen. Weckt der erste Abschnitt Erinnerungen an den Beginn von Wolffs Anthropologie, klang bei Wolff letzteres erst am Schluss kurz an. Janowski differenziert den leiblichen Personenbegriff im Spiegel der in der Zwischenzeit geleisteten Forschung und erweist mit der sozialen Positionsbestimmung des Personenbegriffs dem Verständnis der alttestamentlichen Lebens- und Gedankenwelt einen unschätzbaren Dienst. So betrachtet er die Person im sozialen Kontext unter dem Thema der Anerkennung als Form der Resonanz in menschlichen Beziehungen vor dem Hintergrund der Resonanztheorie von Hartmut Rosa (vgl. S. 184f.). Er interpretiert diese entsprechend biblisch weiter, unter den Begriffen der Hingabe und der Gastfreundschaft. Beachtlich ist hier besonders der Exkurs zu Ruth (S. 191-195).

Der systematische Aufbau des Werkes setzt sich auch in den folgenden Kapiteln fort. So unterteilt Janowski die Formen des sozialen Handelns in Tätigkeit und Kommunikation des Menschen. Ähnlich im Abschnitt zu Räumen und Zeiten, wo er zwischen natürlichem und sozialem Raum gegenüber dem symbolischen Raum von Erzählungen und Narrativen differenziert. Mit der Einteilung der Zeit verhält es sich ebenso: der „realen“ Zeit der Welt steht die konstruierte Einteilung der Zeit durch religiöse Deutungen, Festlichkeiten, Einschnitte und Höhepunkte als Parallelentwurf untrennbar nicht gegenüber, sondern anbei.

Janowski weiß dabei darum, dass es eine besondere Schwierigkeit darstellt die Konstanten der Anthropologie des Alten Testaments in einem Guß herauszuarbeiten. Daher wendet er sich im sechsten Abschnitt des Buches den verschiedenen Textbefunden zu und arbeitet mit den Anthropologien des Alten Testaments im Hinblick auf Urgeschichte und Priesterschrift, Königtum, Propheten und weisheitliche Literatur sowie – und hier sei ein besonderes Augenmerk gelegt – eine Anthropologie der Psalmen. Janowskis Betrachtungen zur sozialen Dimension des Betens und die damit einhergehenden Zeitebenen (vgl. S. 486ff.) sind ebenso erhellend, wie seine Beobachtungen zu Diesseits- und Jenseitsgegenüberstellungen, die, besonders im Hinblick auf Unterweltsvorstellungen im Alten Testament in ihrer Deutlichkeit einzigartig sind.

Was ist der Mensch? In Kapitel sieben schließlich kehrt Janowski zur Frage aus Psalm 8 zurück und resümiert seine Betrachtungen in der Kontrastierung zu Kants Kritik der praktischen Vernunft. Die Anthropologie des Alten Testaments leiste ihren Beitrag in der steten Ausrichtung auf Gott den Schöpfer, worin wir ein „wesentlich anspruchsvolleres Konzept als die reduktionistische Selbstbezüglichkeit des vernunftbestimmten Menschen von Kant und seinen idealistischen Erben“ (S. 547) fänden. Dabei geht es Janowski nicht darum, zu einem alttestamentlichen Menschenbild zurückzukehren, sondern darum, unsere daherkommenden Prägungen verstärkt wahrzunehmen und uns kritisch und konstruktiv damit auseinander zu setzen, um einer vorurteilsbehafteten Banalisierung biblischer Gedankenwelten im aktuellen gesellschaftlichen, aber auch theologischen Diskurs entgegenzuwirken.

Dieses Buch stellt die alttestamentliche Anthropologie erfrischend neu, übersichtlich und umfassend dar und ist ein unschätzbarer Beitrag nicht nur zur alttestamentlichen Wissenschaft, sondern ebenfalls zur praktischen Theologie. Darüber hinaus sei es ausdrücklich als Nachschlagewerk oder zur Gesamtlektüre in Studium, Vikariat und Pfarramt empfohlen.

Pfarrer Lukas Altvater

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