Glaube-Leben-Theologie 2: Vater

von Michael Thiedmann

In der Reihe Glaube Leben Theologie“ – die sich lose am Apostolischen Glaubensbekenntnis als dem altkirchlichen Grundbekenntnis der westlichen Christenheit entlang hangeln soll – werden traditionelle christliche Glaubensaussagen pointiert vorgestellt und mit der heutigen Lebenswirklichkeit ins Gespräch gebracht. Anschließend sollen die theologischen Probleme, die sich aus diesem Kontakt von Tradition und Gegenwart ergeben, von den Autorinnen und Autoren knapp, konkret und subjektiv bearbeitet werden. Der zweite Artikel dieser Reihe widmet sich der Glaubensaussage ‚Gott als der Vater’.

Glaube

Für viele Menschen ist der Religionsunterricht lange her, der Konfirmandenunterricht fast vergessen und auch der letzte Gottesdienstbesuch liegt vielleicht weit zurück. Dennoch ist es einer Vielzahl von Menschen möglich, die ersten Worte des Glaubensbekenntnisses mitzusprechen. Denn auch wenn der eine oder die andere beim Allmächtigenins Stottern gerät oder sich gerade noch so an den Schöpfer des Himmels und der Erde erinnern kann, ist der Auftakt des Bekenntnisses für die meisten unvergessen: ‚Ich glaube an Gott, den Vater.‘ Dabei scheint diese Vorstellung nicht nur im Gedächtnis zu bleiben, sondern auch zu den geläufigsten Bildern in der Rede von Gott zu gehören. Nachdem sich der vorherige Artikel dieser Reihe bereits mit der Glaubensaussage ‚Ich glaube an Gott‘ beschäftigt hat, soll im folgenden die Konkretion Gottes als Vater in den Blick genommen werden.

Trotz des alttestamentlichen Bildverbotes, sich „kein Bildnis noch irgendein Gleichnis“ (Ex 20,4) zu machen, hat sich in und mit den altkirchlichen Bekenntnissen die Bezeichnung Gottes als Vater verstetigt.i In dieser Bekenntnisaussage spiegeln sich letztlich zwei Aspekte des christlichen Glaubens wider: Einerseits die Beziehung zwischen Gott und Jesus Christus, andererseits das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen.

In den Evangelien spricht Jesus immer wieder Gott als seinen Vater an und gebraucht zudem die vertrauliche Anrede ‚Abba‘ (Mk 14,36), mit der er sich in eine exklusive Vater-Sohn-Beziehung stellt. Diese Beziehung beruht nicht auf Einseitigkeit. Gott erklärt sich als Vater zum Sohn (Mt 3,17), beide kennen einander (Mt 11,27) und beide, wie es sich in der späteren Lehre von der Trinität ausformt, sind eins (Joh 10,30).

Die einzigartige Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und Jesus bleibt aber nicht exklusiv. Denn durch Jesu Selbsthingabe, in der Gott und Gottes Liebe offenbar und verstehbar wird, ist Jesus nur der Erstgeborene unter den Kindern Gottes. Auch das Verhältnis Gottes zum Menschen soll in eine Vater-Sohn-Beziehung münden. Daher kann Jesus seinen Jüngern und allen Menschen seiner Nachfolge auftragen, Gott im Gebet auch als Vater anzusprechen (Mt 6,9; Lk 11,2). „Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus“ (Gal 3,26) schreibt Paulus später an die Galater.

Als Christinnen und Christen an Gott als den Vater zu glauben, ist Ausdruck für die den Menschen in Beziehung nehmende Tat Gottes durch Jesus Christus als seinen Sohn.

Leben

So sehr auch das Vaterbild Gottes ein Beziehungsgeschehen ausdrücken soll, so sehr hat diese Vorstellung auch zu Widersprüchen und Schwierigkeiten geführt. Selbstverständlich führt die Konkretion Gottes als Vater zu einer gewissen Art der Personifikation, die aber durch die Menschwerdung Jesu und dessen Auftreten als persönliches Gegenüber durchaus nachvollziehbar wird.ii

Schwieriger ist eine damit verbundene Engführung im Denken und der Struktur der Kirche: Zu lange hat es gedauert, bis Frauen – das Martyrium ausgenommen – Anerkennung und Gleichstellung innerhalb der Kirche erfahren haben bzw. immer noch nicht haben. In der Kunstgeschichte wiederum hat die Rezeption des Vaterbildes, gerade in Verbindung mit trinitarischen Vorstellungen, zu äußerst kreativen Interpretationen geführt. Beispielhaft sei hierfür das Tympanon am Portal der Würzburger Marienkapelle erwähnt, auf dem Gott bei der unbefleckten Empfängnis Marien als, wie im Großteil der Darstellungen Gottes, thronender Vater mit Bart dargestellt wird. Als göttlicher Odem führt von seinem Mund ein Schlauch zu Marias Ohr, auf dem wiederum bäuchlings mit dem Kopf voran ein kleiner Säugling hinab gleitet.

Aufgrund der zeitlichen Nähe zu Leben und Wirken Jesu sowie den noch ersten und jungen Zeugnissen darüber, war die Personalität Gottes für die frühe Christenheit und die Anfangszeit der Alten Kirche noch selbstverständlich. Auch in den Jahrhunderten darauf war zumindest unbestritten, sich zur göttlichen Macht entsprechend zu einem persönlichen Gegenüber verhalten zu können. Heute jedoch erscheint das Vaterbild Gottes nur noch schwer vermittelbar und für einige Menschen so fragwürdig wie Kunstdarstellungen eines alten Mannes mit Rauschebart. Dabei geht es aber selten um die konkrete Ausformung von Männlichkeit oder Aussehen, als vielmehr um die Vorstellung Gottes als eines konkreten Gegenübers im Vergleich zu den Erfahrungen mit dem eigenen Vater bzw. Eltern. Die Herausforderung für die Kirchen der Gegenwart liegt darin, deutlich machen zu können, welches Beziehungsgeschehen in der Konkretion Gottes als Gegenüber des Vaters erfahrbar wird.

Männlichkeit wiederum hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Aufschwung erlebt. Nicht nur medial wird eine Neuentdeckung der Männlichkeit propagiert, sondern auch die pädagogische Arbeit mit Jungen und Männern hat an Bedeutung gewonnen. Auch innerhalb der Kirche ist diese Arbeit mit Fragen nach männlicher Identität und Spiritualität zumindest teilweise ins Blickfeld gerückt. Aber trotz einer Fokussierung der Männlichkeit bleiben weitere Anfragen an das Vaterbild bestehen.

Zum Einen wird die Väterlichkeit Gottes als Widerspruch zu einer gegenwärtigen Lebenswirklichkeit wahrgenommen: Wie soll angesichts einer durch Arbeit oder Trennung begründeten Abwesenheit des Vaters oder sogar negativen Erfahrungen mit dem eigenen Vater das Vaterbild Gottes als stärkende Komponente des christlichen Glaubens aufgefasst werden?

Zum Anderen betont die Bewegung der feministischen Theologie seit langem die durch das Vaterbild hervorgerufene Engführung eines patriarchalen Gottesbildes sowie die Übertragung einer Geschlechterdifferenz auf das christliche Gottesverständnis. Besonders die Übersetzung des hebräischen Gottesnamen als Herr wird hierbei als eine Verkürzung des göttlichen Geheimnisses, d.h. eins und zugleich viele zu sein, sowie als Ausdruck einer anderen Beziehungshierarchie bewertet.iii Männlichkeit, Väterlichkeit und Beziehungsposition als Konnotationen des Gottesbildes sind demnach zu unterscheiden. Aber auch wenn Bilder der menschlichen Erfahrungswelt etwas Wirkliches über Gott zum Ausdruck bringen können, scheint gerade die Metaphorik des göttlichen Vaters umstrittener als andere Bildformen und demnach nicht mehr zeitgemäß.

Theologie

Aber allen kritischen Anfragen zum Trotz ist die Väterlichkeit Gottes Grundkomponente des christlichen Glaubens. Denn das „Wort ‚Vater‘ hat bei Jesus die Funktion des Gottesnamen. Es gehört zur Identität der Rede Jesu von Gott. Deshalb kann die Christenheit den Vaternamen nicht durch irgendwelche andere Bezeichnungen oder Bilder ersetzen, solange christlicher Glaube und christliches Gebet den Gott Jesu meinen und keinen andern.“iv Die eigentliche Frage ist demnach, in welcher Art und Weise heute noch von Gott als Vater gesprochen werden kann.

Aus religionsgeschichtlicher Perspektive sind derartige Darstellungen und auch Gottesbilder nicht unüblich. Der babylonische Gott Sin galt als Vater der Götter und Menschen, gleiches wurde in der Antike Zeus zugeschrieben oder fand sich analog in anderen Religionen. Im Judentum bzw. innerhalb des Alten Testaments wurde Jahwe erst in der Exilszeit zum Vater Israels (Jer 3,19).v Damit ist Gott nicht Objekt oder auch nur eine Idee von Väterlichkeit. Ebenso wenig ist Gott ein Neutrum wie ‚das Heilige‘ oder ein ‚höchstes Sein‘. Wiederum ist Gott so wenig Vater und auch Mutter „in Hervorbringung einer natürlichen Verwandtschaft, sondern Gott ist der Schöpfer einer von ihm verschiedenen, nicht göttlichen, kreatürlichen Wirklichkeit.“vi Gott ist vielmehr deshalb Vater Israels und Vater Jesu Christi, weil er selbst mit dem Menschen in Beziehung steht.

Dieses Beziehungsgeschehen findet eben seinen Ausdruck im Bild des Vaters, das allerdings im Oberhaupt einer patriarchalen Großfamilie gründet und nicht dem Mann einer modernen Kleinfamilie entspricht. In dieser Tatsache liegt sicherlich die Problematik, dass die alleinige Bildrede von Gott als Vater gegenwärtig nur zögerlich aufgegriffen wird. Es gilt dabei hinter den Begriff des Vaters in der patriarchalen Großfamilie zu blicken, um das damit gewollte Interaktionsgefüge festzustellen: „Gottes umfassende Fürsorge für seine Geschöpfe, seine innere Verbundenheit mit ihrem Wohlergehen. Nicht dass die Menschen damit der Verantwortung für ihr Leben beraubt wären, es nimmt sie im Gegenteil der Vater-Gott so ernst, dass sie sich vor ihm verantworten müssen.“vii Die gegenseitige Beziehung zwischen Gott und Mensch erhält im Vaterbild die Bedeutung von Fürsorge und Gehorsam. Für den Menschen bedeutet dies Entlastung und Orientierung: Entlastung aufgrund der Fürsorge und der damit verbundenen Vergebung, die in Jesus Christus offenbar wurde. Orientierung wiederum durch die aufgetragene Verantwortung für ein Leben in Jesu Nachfolge als Kind Gottes.

Um das Vaterbild für die Gegenwart anschlussfähig zu gestalten, gilt es für die kirchliche Arbeit und Verkündigung den Gott-Vater im Kontext des eben beschriebenen Beziehungsgeschehens zu deuten. Ob dabei, gerade im Hinblick auf die der Tradition entsprechenden Bekenntnis- und Gebetstexte, von Gott als Mutter zu sprechen ist, mag man ebenso kritisch betrachten wie ein Vaterbild Gottes, welches in Analogie zur modernen Kleinfamilie gedeutet wird. Hinsichtlich der Gott-Mensch-Beziehung wiederum kann jedoch sowohl von Väterlichkeit wie auch Mütterlichkeit gesprochen werden.

Gott steht dem, wo wir als Menschen in unserem gemeinschaftlichen Handeln wie auch in unserer Vater- oder Mutterrolle an Grenzen stoßen, als Idealtypus des Liebenden gegenüber. Vergebung sowie Ermutigung zu veränderten Lebensperspektiven finden ihren Ausdruck im elterlich Liebenden, konkret im Bild des Vaters. Das bedeutet für Christinnen und Christen: Die Konkretion Gottes als Vater vermittelt ein Gefühl von Liebe, Vertrauen und Treue. Mit der Väterlichkeit wie Mütterlichkeit des Vater-Gotts soll den in das Leben eindringenden Kontingenzerfahrungen begegnet werden können.

 

 

i Auf den Aspekt des Bildverbotes im Zusammenhang mit dem Vaterbild soll an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden. Zur Erörterung aber, ob das Neue Testament und die daraufhin entstandenen altkirchlichen Bekenntnisse gegen das 1. Gebot verstoßen, empfiehlt sich der kurze Abschnitt in Berger, Klaus, Ist Gott Person? Ein Weg zum Verstehen des christlichen Gottesbildes, Gütersloh 2004, 200f.
ii Bezüglich der Frage um die Personifikation Gottes empfiehlt sich ebenfalls das Werk von Berger, a.a.O., 2004 sowie die Erörterung bei Pannenberg, Wolfhart, Das Glaubensbekenntnis ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, Gütersloh 1995, 35-39.
iii Als kurze Einführung vgl. hierzu Praetorius, Ina, Ich glaube an Gott und so weiter… Eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses, Gütersloh 2011, 44-54.
iv Pannenberg, a.a.O., 1995, 41.
v Durchaus gab es eine ältere Bezeichnung Gottes als Vater des Königs (2.Sam 7,14). Demnach sind ähnliche Verschiebungen im Vaterbild anzunehmen, wie sie bei den Veränderungen der Bundestheologie, z.B. Mittlerrolle des Königs zusammenhängend mit altorientalischen Vertragsrecht im Vergleich zum religiösen Umfeld, eine Rolle spielen. Vertiefend vgl. hierzu Koch, Christoph, Vertrag, Treueeid und Bund. Studien zur Rezeption im Deuteronomium und zur Ausbildung der Bundestheologie im Alten Testament (BZAW 383), Berlin/New York 2008.
vi Busch, Eberhard, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis, 2003, 119.
vii Evangelischer Erwachsenenkatechismus. suchen – glauben – leben, Gütersloh 8. Aufl. 2010, 569.

2 Gedanken zu „Glaube-Leben-Theologie 2: Vater“

  1. Nur zwei illustrierende Schriftzitate, dass sich das Bild Gottes als des Vaters bzw. der Mutter auch kritisch überbietend gegen die menschlichen Familienstrukturen wenden lässt:

    „Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf.“ (Ps 27,10)

    „Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ (Jes 49,15)

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